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Bewegung, BDNF und psychische Gesundheit

Was ich als Sportwissenschafter wirklich empfehle

In den letzten Jahren ist das Interesse an Themen wie BDNF (Brain derived neurotropic faktor), Neuroplastizität und Bewegung stark gestiegen. Besonders im Zusammenhang mit Stress, Depressionen und mentaler Gesundheit. Gleichzeitig beobachte ich aber auch viel Verunsicherung:

Welche Trainingsform sinnvoll ist? Wie viel ist genug? Und was kann Sport realistisch leisten und was auch nicht?

Als Sportwissenschafter ist mir wichtig, hier evidenzbasiert, ehrlich und praxisnah zu bleiben.

Depression ist mehr als ein „Motivationsproblem“

Heute wissen wir: Depressionen sind nicht einfach ein Mangel an Willenskraft oder positiver Einstellung. Neurobiologisch zeigen sich häufig:

  • eine Dysregulation der Stressachse (Cortisol),
  • reduzierte Neuroplastizität,
  • niedrigere BDNF-Spiegel, insbesondere in hirnrelevanten Arealen für Lernen, Emotion und Stressverarbeitung.

BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) ist dabei kein „Glückshormon“, sondern ein Wachstums- und Anpassungsfaktor für Nervenzellen. Vereinfacht gesagt:

BDNF entscheidet mit, wie gut sich das Gehirn an neue Reize, Erfahrungen und Belastungen anpassen kann.

Warum Bewegung hier so relevant ist

Bewegung, insbesondere Ausdauertraining, gehört zu den am besten belegten nicht-medikamentösen Maßnahmen, um BDNF zu erhöhen und Stresssysteme zu regulieren.

Das bedeutet nicht, dass Bewegung Depressionen „heilt“.

Aber sie verbessert nachweislich die biologischen Voraussetzungen für Veränderung.

Und genau hier liegt der Schlüssel.

Warum ich Ausdauertraining als Basis empfehle

Aus sportwissenschaftlicher Sicht zeigt sich ein klares Muster:

Regelmäßiges, moderat intensives Ausdauertraining

  • erhöht zuverlässig BDNF,
  • senkt chronisch erhöhte Cortisolspiegel,
  • stabilisiert Schlaf und circadiane Rhythmen,
  • wirkt antidepressiv, besonders präventiv und bei leichten bis moderaten Symptomen.

Dabei geht es nicht um extremes Training. Im Gegenteil.

Ich empfehle in der Regel:

  • 3–5 Einheiten pro Woche
  • 30–45 Minuten
  • in einer Intensität, bei der man sich noch unterhalten kann

Zügiges Gehen, lockeres Laufen, Radfahren oder ähnliche zyklische Belastungen sind vollkommen ausreichend.

Ist „lang und niedrigschwellig“ automatisch besser?

Nein. Das ist ein wichtiger Punkt.

Sehr lange, monotone oder erschöpfende Belastungen können – vor allem bei ohnehin belasteten Menschen – zusätzlichen Stress erzeugen. Entscheidend ist nicht die Dauer allein, sondern:

  • Regelmäßigkeit
  • Vorhersehbarkeit
  • Erholungsfähigkeit

Das Nervensystem reagiert positiv auf dosierten, bewältigbaren Stress, nicht auf Dauerüberforderung.

Und was ist mit Krafttraining?

Krafttraining ist kein Ersatz für Ausdauertraining, wenn es um BDNF und depressive Symptomatik geht.

Aber es ist eine sehr sehr sinnvolle Ergänzung.

Moderates Krafttraining:

  • stärkt das Gefühl von Selbstwirksamkeit,
  • verbessert metabolische und hormonelle Gesundheit,
  • stabilisiert den Körper und reduziert Verletzungsrisiken,
  • unterstützt langfristig auch die psychische Belastbarkeit.

Ich empfehle daher:

  • 2 Einheiten pro Woche
  • Ganzkörper, sauber, nicht maximal

Haltung, Atmung und Stress: Das ist kein Hype, aber relevant

Haltung oder sogenannte „Power Poses“ erhöhen BDNF nicht direkt.

Was sie aber können: Stress reduzieren.

Chronischer Stress und dauerhaft erhöhtes Cortisol hemmen BDNF.

Alles, was hilft, das Nervensystem zu beruhigen – z. B. aufrechte, entspannte Haltung, ruhige Atmung -entfernt diese Bremse.

Man kann es so zusammenfassen:

Haltung und Atmung sind kein Trigger für Veränderung, aber sie verbessern die Bedingungen, unter denen Veränderung möglich wird.

Meine sportwissenschaftliche Kernaussage

Wenn ich präventiv oder begleitend zur psychischen Gesundheit empfehle, dann so:

  • Ausdauertraining als Basis (regelmäßig, moderat)
  • Krafttraining ergänzend, nicht dominierend
  • Intensität dosiert, nicht permanent
  • Regelmäßigkeit wichtiger als Perfektion

Oder einfacher formuliert:

Bewegung ersetzt keine Therapie.

Aber sie macht das Gehirn veränderungsfähiger.

Fazit

BDNF ist kein Wundermolekül, und Sport ist kein Allheilmittel.

Aber regelmäßige Bewegung – insbesondere Ausdauertraining – ist eine der wirksamsten Möglichkeiten, die neurobiologischen Voraussetzungen für psychische Stabilität zu verbessern.

Als Sportwissenschafter sehe ich meine Rolle nicht darin, Hoffnung zu verkaufen, sondern Rahmenbedingungen für nachhaltige Veränderung zu schaffen.

Und genau das kann gut dosierte, regelmäßige Bewegung leisten.

 

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